Bewusst leben - Das Spektrum der Wahrnehmung

Der vorliegende Artikel ist Teil einer Serie von Artikeln, die auf von mir gemachten Notizen bei einer Doku-Serie im TV beruhen.  

Wir nehmen mehr wahr als uns bewusst ist. Die Ohren hören die ganze Zeit, die Augen (sofern nicht geschlossen) sehen, unser Körper spürt über die Haut, und auch die Reize aus unserem Körper werden ständig an das Gehirn gemeldet. Alle unsere Sinne sind ständig aktiv. Doch unser Gehirn ist ein Meister darin, nicht alles in unser Bewusstsein durchzulassen. Das ist auch gut, denn sonst wären wir völlig überfordert von der enormen Menge an Informationen, die wir nicht fähig sind bewusst zu verarbeiten.

Wer mal überprüfen möchte wie gut das Gehirn filtern kann, sollte mal in einem gut besuchten Café sich mit seinem Gegenüber unterhalten und das Gespräch teilweise aufnehmen. Während die Kommunikation im Café ziemlich gut funktioniert, ist auf der Aufnahme nur ein Chaos an Stimmen aus dem ganzen Café zu vernehmen und wir können noch nicht mal das Gesagte unseres Gesprächspartners verstehen.

Diese Filterfunktion ist ein praktisches Feature unseres Gehirns, es funktioniert automatisch. Wir können jedoch bewusst entscheiden, was wir "mitkriegen" und was nicht.

Konzentration ist ein Extrem des Spektrums der bewussten Wahrnehmung. Sie ist wie ein enger Kanal, wie als würde ein weiter Lichtstrahl durch eine Linse gebündelt und so nur einen kleinen Bereich ausleuchten. Alles andere wird nicht beachtet, sei es nach außen oder innen. Wer kennt es nicht, so in einer Tätigkeit vertieft zu sein, dass man gar nicht mehr bemerkt was um einen herum geschieht oder wie hungrig oder durstig man ist.

Das andere Extrem ist, auf alles und nichts besonderes zu achten. Eine Art diffuser, weicher Blick. Während Sie sich auf das hier Geschriebene konzentrieren, können Sie auch ihre Wahrnehmung öffnen. Sie sehen, was sonst noch in Ihrem Sichtfeld ist, was es an Geräuschen gibt, z.B. das eigene Atemgeräusch, oder der Kontakt der Füße mit dem Boden.

Wenn Sie ganz auf die Seite der extrem weiten, diffusen, bewussten Wahrnehmung gehen - ohne etwas bestimmtes heraus zu picken - kann es sein, dass Sie noch etwas anderes bemerken, dass sich in Ihnen etwas beruhigt.

Je weiter Sie Ihr Bewusstsein für die Informationen Ihrer Sinne öffnen, umso weniger können Sie sich auf das Lesen konzentrieren. Der weiche Blick ist ein Zustand, in dem man keine Leistung erbringen kann. Um sich mit irgendwas zielorientiert zu befassen, muss man etwas im Wahrnehmungsfordergrund haben.

Zwischen den beiden Extremen der reinen Konzentration und dem weichen, diffusen Blick, gibt es Nuancen. Um gute Leistungen zu erbringen, gute Noten, akkurate Durchführung, … umso mehr nutzen wir reine Konzentration. Wenn wir Zusammenhänge beachten wollen, nehmen wir mehr Inhalte in unser Konzentrationsfeld. Kreativität entfaltet sich am besten, je weicher und diffuser unser Blick wird, auf je mehr Inhalte wir unser Bewusstsein richten. Wobei der Begriff "richten" dann weniger zutreffend ist, da es mehr zu einem passiven Gewahrwerden von Allem kommt. Ein Zustand des Seins, im Gegensatz zum Zustand des Tuns bei der Konzentration. Leider wird uns im Leben sehr rasch dieser wundervolle Zustand des weichen, weiten Blickes ausgetrieben. Kinder haben noch diese Fähigkeit, sich dem Leben, sich selbst, eben Allem gleichzeitig zuwenden zu können.

Wir haben also ein Spektrum von Möglichkeiten, das die meisten von  uns gar nicht bewusst wahrnehmen. Mit rein konzentriertem Denken kommt man ziemlich schnell an einen Punkt wo es nicht mehr weiter geht und dann muss man ins diffuse gehen um eine neue Idee zu bekommen. Wir wandern flexibel in diesem Spektrum umher. Während ich diese Zeilen schreibe, ändert sich das Ausmaß von konzentriertem und diffusem Denken. Ich brauche einen weiten Blick in meine (vorbewusste) innere Welt, sodass Ideen hoch kommen können, ich in meinen Erfahrungen und meinem Wissen spazieren gehen kann. Aber nicht zu weit, damit ich nicht (zu sehr) abschweife und den momentanen Kerngedanken nicht aus dem Fokus verliere.

Es ist an und für sich leicht sich in dem Bereich des Diffusen zu bewegen, Sie müssen nur mit dem (rationalen, analytischen,…) Denken aufhören. Vielen Menschen fällt dies jedoch sehr schwer, sie haben Zweifel, dass es überhaupt möglich ist. Schließlich hat Descarte gesagt "Cogito ergo summ" ("Ich denke, also bin ich").

Es gibt aber ein Ich und ein Sein ohne dieses Denken. Und wer nicht gelegentlich aus dem Denken aussteigt, der läuft Gefahr in Stress zu kommen. Denn dieser konzentrierte Zustand hat den Nachteil, dass er sehr stressträchtig ist. Aber den Vorteil, dass wir in diesem Zustand wirklich Leistung erbringen können.

Der Zustand des ganz weichen, völlig diffusen Blickes hat den Nachteil, dass man absolut handlungsunfähig wird, weil nichts da ist womit man sich wirklich befasst. Jedoch den  ungeheuren Vorteil, dass er uns einen gelassenen Überblick gibt. Und es besteht überhaupt keine Gefahr, dass man im weichen Blick in Stress kommt. Ein Umstand, den man bei der Meditation vorteilhaft nutzt.

Die Kunst liegt darin, die Menge und die Art der Wahrnehmungsinhalte, die in unser Bewusstsein gelangen, in jeder Situation im Alltag optimal zu wählen. Wir brauchen für unsere geistig-körperliche Gesundheit und um hohe Leistungen zu erbringen, das ganze Spektrum zwischen Konzentration und diffusem Gewahrwerden, nicht eine Seite allein. Dies hilft uns z.B. dabei den Blick auf unser Smartphone gerichtet zu lassen während wir in der Stadt unterwegs sind, ohne gegen einen Laternenpfahl zu laufen ;-)