Schon oft haben mir Frauen erzählt, dass ihr Partner nicht so tanzt, wie sie es sich wünschen. Und so versuchen sie zu "führen", also bewusst einzugreifen, um den Tanz des Partners zu beeinflussen. Doch dadurch löst sich der Tanzfluss auf, die Verbundenheit mit der Musik und der Kontakt mit dem Partner wird unterbrochen. Hinzu kommt, dass der Partner es ein paar Schritte später noch einmal versucht, da er meint es habe zuvor nicht geklappt, oder er führt dominanter, mit einer festeren Umarmung, weil es ihm nicht gefällt, wenn die Folgende nicht folgt.
Doch wie können Folgende den Tanz beeinflussen, sodass der Tanzfluss bestehen bleibt und der Führende es als Bereicherung empfindet?
Practice, practice, practice, ...
Bist du Führender, sei Führender, bist du Folgende(r), sei Folgende(r). SEIN ist hier das Wichtige. Und wenn du deine Rolle kannst, heisst, dass dein Körper ohne dein Zutun tanzt, also führt oder folgt, dann hast du die Fähigkeit, dem Körper seinen Raum zu lassen. ER tanzt. Und deine Empfindung der Musik wird vom Partner aufgenommen und in den gemeinsamen Tanz integriert, ohne dass du irgendwie, irgendwas tun musst. Dies funktioniert, je klarer du deine Rolle verinnerlichst hast, so dass du loslassen kannst und ganz in dieser Rolle aufgehst.
Tango ist ein Tanz, wo zwei Menschen zu einem tanzenden Wesen werden, verbunden mit und in der Musik gemeinsam als Einheit tanzen. Und diese Verbundenheit darf nicht zerstört werden, dadurch, dass man sie bewusst zu beeinflussen sucht. Diese Einheit sollte kreativ genutzt werden, indem man sein eigenes Musikempfinden transparent macht, es innerlich spürt, es in seinem Körper als weitere Möglichkeit neben den anderen präsent werden lässt (mindestens eine davon ist vom Partner). Der gemeinsame Tanz reagiert darauf, der Partner nimmt die Präsenz wahr. Und in den Momenten, wo eine alternative Interpretation möglicher ist, wird das Eigene sich im gemeinsamen Tanz offenbaren. Diese Momente werden häufiger, der Partner tanzt mehr und mehr deine Interpretation in seine Art zu tanzen integrierend, und so entwickelt sich eine gemeinsame Interpretation der Musik, mit jedem Musikstück mehr und mehr.
Und so lebt der Tanz vom Austausch der aufkeimenden Interpretationsideen, erblüht in den verschiedenen Farben der vielen Möglichkeiten, die Musik zu interpretieren.
Dies funktioniert aber nur, wenn Kontakt vorhanden und so eine Kommunikation möglich ist. Bidirektionale Kommunikation, fullduplex, in jede Richtung, zu jeder Zeit, ständig present.
Am Anfang einer Tanda, nehme ich erstmal Kontakt mit der Tänzerin auf und lass meinen Körper sich mit ihrem Körper unterhalten, um zu erfahren/erspüren wie die Tänzerin "funktioniert". Wie erlebt sie die Musik? Mag sie Drehungen sehr gerne? Tanzt sie gerne akzentuiert oder fließend? Fragen, die ich nicht bewusst stelle, sondern mein Körper nimmt auf, wie sie die Musik empfindet. Und erst im 2. Stück einer Tanda, lass ich meinen Körper mehr und mehr Tango-Elemente tanzen. Denn erst dann hat sich mein Körper mit dem ihren derart verbunden, als würde er sich in einem angeregten Gespräch befinden, wo der Dialog hin und her geht, wo man das Gefühl hat als würde jeder gleichzeitig reden, ein harmonischer Gesprächsfluss. Ich empfinde mich (uns) dann als ein(!) Wesen, bestehend aus ihr und mir, wobei "sie" und "ich" kaum mehr vorhanden sind.
"Wir" oder wie immer man dieses eine Tango(bewusst)sein auch nennen mag, gestalten dann gemeinsam den Tanz. Und auch wenn ich zu glauben meine, dass ich den Tanz bestimme, so ist der Unterschied "meines" Tanzens mit dieser Tänzerin und dem mit einer anderen derart groß, dass die "Führung" nur noch darin besteht einen sicheren "Rahmen" für den Tanz zu geben, in dem sich mein Tanz gemeinsam mit dem Tanz der Tänzerin frei entfalten kann.
Ich bin immer wieder fasziniert, welch Variationen an Elementen und Kombinationen bei einer Tänzerin scheinbar aus dem Nichts sich entwickeln, und mit einer anderen Tänzerin tauchen diese Elemente und Kombinationen überhaupt nicht auf oder in einer völlig anderen Dynamik. Dies kann jedoch nur entstehen, wenn beide(!) Tänzer ihren Kopf abschalten und ihren Körpern die Freiheit schenken, die diese zur freien Entfaltung brauchen.
"Achtsamkeit" kommt mir da in den Sinn: "Das Leben wahrnehmen während es geschieht". Ein Erlebnis, das ich jedesmal sehr genieße. Die Momente, wenn ich nicht mehr bewusst tanze, ich manchmal sogar meine, gar keinen Einfluss mehr auszuüben, sondern im Flow-Zustand den Tanz nur noch wahrnehme wie ein teilnehmender Beobachter, der sich im Geschehen derart verliert, dass sich sein Ich im gemeinsamen Erleben auflöst.
Loslassen, Zulassen, geschehen lassen.