Der vorliegende Artikel ist Teil einer Serie von Artikeln, die auf von mir gemachten Notizen bei einer Doku-Serie im TV beruhen.
Was geschieht nachdem wir etwas wahrgenommen haben?
Es folgt eine Reaktion, oder? Ein Gefühl, ein Verhalten. Reiz => Reaktion. "Das sie zu spät kommt ärgert mich", "Wenn mein Chef mir über die Schulter schaut, macht mir das Angst" oder die Reaktion auf das Geräusch wenn jemand neben uns mit dem Auto einen Kavaliersstart macht.
Doch zwischen der Wahrnehmung von etwas und unserer Reaktion steckt unsere Deutung, Interpretation und Beurteilung dessen, was wir wahrgenommen haben. Und dies geschieht aufgrund unserer Erfahrungen, die wir früher damit gemacht haben und der Haltung die wir demgegenüber entwickelten. Das Geräusch von durchdrehenden Reifen erinnert uns vielleicht an Autorennen, die wir so gerne schauen (oder die wir selber gefahren sind), oder das Geräusch erinnert uns an den nervigen Nachbarn, der viel zu oft Nachts nicht ruhig anfahren konnte und uns ständig störte.
Dementsprechend reagieren wir mit Neugier, Aufregung, Freude und es inspiriert uns, ebenfalls zügiger anzufahren, oder wir reagieren mit einem negativen Gefühl wie Ärger, Angst, Hilflosigkeit, und aus dem Gefühl heraus erfolgt die Reaktion, z.B. dem Wunsch diesem … mal ordentlich die Meinung zu sagen, oder wir verfallen in Lethargie weil wir erkannt haben, dass wir keinen Einfluss auf das Verhalten des Autofahrers haben.
Dieser Prozess Reiz => Deutung/Beurteilung/… => Reaktion läuft so schnell ab, dass wir in der Regel gar nicht wahrnehmen, dass zwischen dem wahrgenommenen Reiz und unserer Reaktion in uns etwas geschieht.
Es gibt noch weitere Faktoren, die Einfluss auf unseren Beurteilungsprozess, unsere emotionale Reaktion und unser Verhalten haben. Dies sind die Situation, in der wir uns befinden und unser aktueller, emotionaler, körperlicher und geistiger Zustand, z.B.
- Fühlen wir uns fit oder eher schwach, krank?
- Sind wir gut drauf oder niedergeschlagen?
- Sind wir "auf Krawall gebürstet" oder ausgeglichen?
- Befinden wir uns in einer angenehm ruhigen oder in einer hektischen uns überfordernden Situation?
- Worüber haben wir zuvor nachgedacht?
- Macht uns gerade etwas Sorgen oder ist unser Kopf leicht?
Meisten sind wir in einem Automatismus, wir handeln spontan, "instinktiv" oder einfach gewohnheitsmäßig. Es gibt aber auch Momente, wo wir uns bewusst sind, dass wir gerade dabei sind etwas zu tun was wir als ungeschickt oder unangebracht erkennen, oder wir sind uns nicht sicher wie wir reagieren sollen. In solchen Momenten halten wir inne, an dem Punkt zwischen Wahrnehmung und Reaktion. Wir werden uns dem inneren Prozess gewahr und unterbrechen ihn, so dass die automatische Reaktion nicht erfolgt. Statt zu reagieren überlegen wir "Moment, was ist passiert, worum geht es gerade?".
Z.B. jemand begegnet uns, der bisher immer freundlich gegrüßt hat, und heute guckt er uns kaum an und geht weiter. Je nachdem welche Erfahrungen wir in unserem Leben gemacht haben und in welchem geistigen, emotionalen, körperlichen Zustand wir uns gerade befinden, werden wir auf diese Situation unterschiedlich reagieren. Wenn wir als Kind die Erfahrung gemacht haben, von anderen ignoriert zu werden, wenn wir was falsch gemacht haben, dann reagieren wir auf das Nichtgrüßen mit einem schlechten Gewissen oder Angst, "Ich muss irgendwas falsch gemacht haben". Es kommt vielleicht sogar zu einem Gefühl der Hilflosigkeit, weil wir nicht genau wissen, was wir denn falsch gemacht haben sollen, weswegen wir bestraft werden. Wenn wir jedoch innehalten und überlegen, dann kommt wir auf andere Interpretations- und Deutungsmöglichkeiten. Der andere könnte ja einfach in Gedanken gewesen sein, ein schlechtes Gewissen haben da er schon längst woanders sein müsste oder es liegt an was anderem, was nichts mit uns zu tun hat.
Interpretieren und deuten wir anders, führt dies zu anderen Gefühlen und zu anderem Verhalten. Es ist also gut, innezuhalten und sich Alternativen zu überlegen.
Wir können natürlich auch einfach nachfragen.
Evolutionär ist eine schnelle Abfolge des Prozesses natürlich günstig. Wenn ich ein Brüllen im Gebüsch höre, ist es gefährlich zu überlegen ob es ein Löwe oder ein Tiger ist, sondern ich entscheide instinktiv ob es besser ist zu laufen oder zu kämpfen. Es war damals lebenserhaltend, automatisch und sofort reagieren zu können, mit Flucht, Kampf, oder sich Tod zu stellen. Diejenigen, die nicht so rasch reagierten und zu lange überlegten wurden von der Evolution aussortiert. Diese Reaktionsarten sind weiterhin in uns vorhanden und werden auch immer noch automatisch ausgelöst, auch wenn uns das in den meisten Fällen des Alltags eher behindert.
Das Innehalten führt dazu, dass wir beginnen, den Prozess des Deutens, Fühlens und Reagierens zu beobachten, uns bewusst zu machen.
Wer ein solches inneres Beobachten entwickeln möchte, sollte aber darauf achten, wohlwollend mit sich selber umzugehen. Sich selbst beobachten, sollte nicht kritisch, wie ein überkonrollierender Chef sein, sich also nicht ständig auf die Finger klopfen und kritisieren, wenn etwas nicht optimal gelaufen ist.
Weise ist der, der aus seinen Fehler lernt und sich ändert, und nicht der, der keine Fehler macht.