Alle Menschen sind egoistisch
Menschen sind von Natur aus egoistisch, und das ist auch gut so.
„Jeder denkt nur an sich? Ja, haben denn alle nur ihren eigenen Vorteil im Kopf?“
Ja.
Eine aufopfernde Mutter, die sich hingebungsvoll um die Familie kümmert oder der frischgebackene Vater, der sein geliebtes Cabrio verkauft und sich einen Kombi anschafft. Beide sind egoistisch.
Doch was heißt „egoistisch“ überhaupt?
Die Definitionen und Bedeutungen, die man findet, sind sehr unterschiedlich.
Laut Wikipedia ist Egoismus: ... (egoˈɪsmʊs, von lateinisch ego „ich“ mit griech. Suffix -ismus) und bedeutet „Eigeninteresse“, „Eigennützigkeit“.
Das Duden-Fremdwörterbuch geht da noch weiter und beschreibt Egoismus als „Ich-Bezogenheit“, „Ich-Sucht“, „Selbstsucht“, „Eigenliebe“. Hm, Eigenliebe, ist doch was Gutes, oder nicht?
Wikipedia kennt verschiedene weitere Arten, wie z.B. den Psychologischen Egoismus. Dies sei … die Überzeugung oder empirisch beobachtete Tatsache, dass alles Streben, Verhalten und Handeln des Menschen, auch das unbewusste, letztlich darauf zielt, sein individuelles Glück oder Wohlbefinden zu erhalten und zu steigern, seine eigenen Wünsche, Interessen und Ziele zu verwirklichen.
Wer möchte das nicht?
Und der Ethische Egoismus ... bezeichnet eine philosophische Maxime und ihre ethische Begründung, gemäß derer man sich in seinem Handeln ganz von dem leiten lassen dürfe oder solle, was nach eigener Auffassung für einen selbst am besten sei.
Liegt man mit der eigenen Auffassung auch (immer) richtig? Obwohl, wer will schon zu seinem eigenen Schaden handeln?
Doch geht es mir in diesem Artikel nicht darum, den Begriff „Egoismus“ erschöpfend zu definieren. Ich möchte eher einen Suchprozess in Ihnen auslösen. Dass Sie für sich selbst, Gedanken über Ihre eigene Definition von und Ihre Erfahrungen mit „Egoismus“ machen.
Im Buch „Sei nicht nett, sei echt“ von Kelly Bryson, kann man am Ende der Seite 73 den Satz lesen „Zuerst ich, und niemand anders.“
Kelly Bryson bettet den Satz in eine Beschreibung, wie und wann er seine Partnerin um ein Gespräch bzgl. ihrer Beziehung bittet:
Nachdem ich mir selbst Empathie gegeben hatte, brachte das Mitgefühl mich dazu, zu meiner Freundin zu gehen und festzustellen, ob ich ihr das Verständnis anbieten konnte, das erforderlich wäre, um unsere Verbindung wiederherzustellen. Ich bin froh, dass ich gewartet habe, bis mein Wunsch, zu ihr in Verbindung zu treten, aus meinem Bedürfnis erwuchs, sie zu verstehen und den Kontakt zu ihr wiederherzustellen, statt aus der Angst davor, von ihr verlassen zu werden, oder aus einem Gefühl der Schuld heraus, sie verlassen zu haben. Ich bin froh, dass mir das erste Gebot nährender Beziehungen in den Sinn kam : Zuerst ich und niemand anders. Ich wartete, bis mein Geben ohne jede Angst, jede Scham und jedes Schuldgefühl aus meinem Herzen kam.
Schon in der Bibel steht geschrieben: „Liebe Deinen Nächsten wie dich selbst.“ Also Selbstliebe, nicht nur die Liebe zum Nächsten.
Wenn man den „Mann oder die Frau auf der Straße“ fragt, dann bekommt man oft eine Antwort wie „Ein Egoist ist jemand der/die nur an sich denkt, aber nicht an andere.“ Und dies mit einem Unterton als meinte die Person in Wahrheit „… aber nicht an mich!“. Was einen zum Schluss bringen könnte, dass Egoismus lediglich ein Mangel an Selbstliebe sein könnte. Denn wer mit sich selbst im Reinen ist und sich als liebenswert empfindet, ist jemand der für Andere da ist, und nicht erwartet, dass Andere sich um ihn/sie kümmert.
Hierzu passt der Auszug aus Wikipedia zum „kooperativen“ Egoismus:
„ ... der vor allem in den USA zu beobachten ist: Diejenigen Personen, die sich am meisten für egoistische Werte wie Karriere und Selbstverwirklichung einsetzen, sind häufig zugleich diejenigen, die kommunale Aktivitäten hoch bewerten und einen großen Teil ihrer Freizeit für andere verbringen. ...“
"Der Egoismus spricht alle Sprachen und spielt alle Rollen, sogar die der Selbstlosigkeit."
François de La Rochefoucauld, "Reflexions morales"
"Selbstlosigkeit ist ausgereifter Egoismus."
Oscar Wilde
Die aufopfernde Mutter; der Vater, der sein geliebtes Sportcabriolet gegen einen Kombi tauscht. Beide sind egoistisch. Denn sie wollen, dass sich der Partner gut fühlt, es der Familie gut geht. Oder, dass der Partner einen nicht verlässt. Ihr Verhalten gibt ihnen ein gutes Gefühl, oder verhindert ein schlechtes. Der Gewinn an gutem Gefühl überwiegt den Schmerz des Verlustes. Und darum geht es. Jeder Mensch möchte an Genuss gewinnen und eigenes Leiden verhindern.
Ein paar Aufteilungen, die ich gerne verwende:
Der positive Egoismus: Win - Win
Man ist bestrebt, dafür zu sorgen, dass beide Parteien einen Gewinn haben.
Der negative Egoismus: Win-Loose
Das eigene Wohl beruht darauf, dass man einen Gewinn erzielt, dessen, was der Andere verliert. Extremer wäre die Variante, dass sich eine Person nur dann gut fühlt, wenn sich die andere Person schlecht fühlt: Win <= Loose
Der neutrale Egoismus: Win - " "
Man lässt es sich selbst gut gehen, ohne (negative) Auswirkungen auf andere.
Der rationale Egoismus: Win
Bei einem Wettlauf kann nur einer gewinnen. Und jeder möchte, dass er/sie selbst gewinnt. Oder, gerade für Kinder: Es kann nur einer vorne im Auto sitzen.
Der altruistische Egoismus: Loose => Win
Ein Vernuft und emotional geleitetes Verlieren. Dahinter steckt die Idee, dass, wenn man den anderen auch mal gewinnen lässt, dieser eher Lust hat, weiterhin mit einem zu besseren Leistungen zu streben. Mein Vater verlor rasch die Motivation, gemeinsam mit mir am Computer zu spielen, weil ich immer gewann. Bei meiner Mutter und mir war es genau anders herum, wenn wir das Brettspiel „Mühle“ spielten. Weshalb sie mit mir auch "Go" spielte, da ich dort meistens gewann, obwohl sie dieses Spiel nicht mochte.
Die aufopfernde Mutter, der Kombi fahrende Vater. Oder mein Opa, der mich als Kind beim Kartenspielen gewinnen ließ, weil es ihm eine Freude bereitete, zu sehen wie ich strahle, wenn ich gewann. Oder meine Oma, die sich darüber freute, wie wir Kinder uns über das Essen hermachten und es voller Genuss verschlangen. Die Stunden in der Küche, kochend, backend, spülend, waren für sie lediglich der Weg zu diesem für sie schönen Erlebnis. Und sie konnte wirklich sehr lecker kochen.
Wenn Sie sich also wieder mal erwischen bei dem Gedanken „Alle Menschen denken nur an sich selbst.“, dann wissen Sie nun: Ja, es ist so. Und Sie tun es auch.
Das kann heißen „Nein“ zu sagen, wenn Sie aus der Interaktion mit Anderen nicht genug für sich selbst gewinnen, und vor allem wenn es Ihnen schadet.
Oder besteht Ihr „Gewinn“ auch mal in der Vermeidung von „Verlust“ oder Leiden, z.B. von Ärger, von Liebesentzug, Ausgrenzung, Unsicherheit, Abwertung durch Andere?
Es können auch mehrere Motive gegenläufig arbeiten: Z.B. der Wunsch, im Meeting etwas zu sagen - das Gefühl, der Aufmerksamkeit der Anderen wert zu sein; und gleichzeitig der Wunsch, nicht ausgelacht oder kritisiert zu werden, oder Ärger in Anderen zu erzeugen.
Menschen sind egoistisch, denken an sich. Die Frage, die sich jede/r selbst stellen muss, ist:
"In wie weit hat es (negative) Auswirkungen auf Andere?"
bzw.
"Ist das eigene Verhalten wirklich "gut" für mich, oder liegt mein Gewinn darin, Unangenehmes zu verhindern, obwohl es in Wahrheit besser wäre (für beide Seiten), wenn ich die Angst vor dem Unangenehmen durchbreche (und z.B. im Meeting meine Meinung äußere)?"